Paul Mersmann [*1929]
Paul Mersmann: Werkverzeichnis
P.M.
Personen

Giorgio de Chirico
Herbert Häfner
Gustav René Hocke
Karl Hofer
Peter Schermuly

Herbert HäfnerHerbert Häfner
1904-1954


»Durch meinen Vater, der ein enger Freund dieses bemerkenswerten Malers gewesen ist, sie besaßen ein gemeinsames Atelier in Berlin, habe ich Häfner und seine Bilder um 1947 kennen gelernt.
Meine Begegnung mit ihm und seinem Werk gehört bis heute zu den unbeendeten, ja unbeendbaren Jugenderlebnissen meiner künstlerischen Entwicklung, denn er war und ist mir, ich muss es gestehen, als Maler wegen meiner frühen vergeblichen Versuche, der rätselhaften Welt seiner malerischen Technik nachzueifern, ein unerreichbarer Traum geblieben. Seine Bilder, von denen sich einige wenige in unserem Familienbesitz erhalten haben, sein Werk ist heute unauffindbar verstreut, weisen auf ein unerfüllbares Jenseits meiner frühesten künstlerischen Neigungen hin, weil sie über die alten Meister hinaus das erste Mal einem lebenden Künstler galten, den ich bewundern konnte. Ein größeres Bild bei mir, wenn ich täglich einen Blick auf den Kopf des Kindes oder die Züge der Mutter werfe, besitzt noch immer jene traurige Kraft von einst, die mir unerreichbar geblieben ist. Es scheint, als habe die blinde Zeit des real existierenden Fetischismus die wahre Kunstarbeit, die Alchimie auf der Leinwand, erfolgreich verdrängt. Der Sieg des handgreiflichen Dilettantismus einer Unzucht am Gegenstand, die gehirnbezogene Vorhölle der Barbarei, hält heute ganze Museen besetzt. Jede Zeit kennt irgend einen öffentlichen, dabei ganz unfasslichen Massenwahn, einen Thanatoskomplex der Kultur.
Noch im Wandbild der Villa Glücklich, Sebastian unter den Frauen, habe ich versucht, den weiblichen Kopf mit der Perlenkette in seinem Geiste zu malen, vergebens. Es gelang mir nicht, seine schlichte schmelzende Kraft auf der Leinwand auch nur annähernd zu treffen. Sein Werk bestand zumeist aus Familienbildern, Frauen und Kinder an Tischen mit Stilleben, die sich mühelos mit den großen Franzosen vergleichen lassen, indessen die Landschaften, ernst und ins Bläuliche spielend, das Regendunkel seiner lippischen Heimat widerspiegeln. Meine Schwester besitzt das fast lebensgroße Bildnis einer Dame in spanischem Kostüm, nach Erinnerungen meines Vaters die Tochter Pechsteins auf einem Maskenball der dreißiger Jahre in Berlin. Die Hand mit dem Fächer hat mich stets an die flüchtig hingewischten Hände eines Velasquez in Wien erinnert, die Stellung der Füße an Goya.
Übrigens sagte mein Vater, Häfner habe gelegentlich auf Bildern älterer Kirmesbuden manche der rasch aus dem Handgelenk auf die Leinwand geworfenen Ornamente und kühn gezogenen Linien sehr bewundert, denn ehe die grelle Elektrizität samt der futuristischen Technik über diese Plätze gekommen ist, war in der barocken Architektur der Karussells, ihren automatisch klappernden Musikanten, den hölzernen Rössern aus Orleans, sie wurden dort einst geschnitzt, in all den Spiegeln und dem schmetternden Ächzen der Orgeln das ganze Wesen einer Art Gegenaufklärung weiß und vergoldet erhalten geblieben. Gleichsam aus den Händen katholisch gebliebner Teufel, denn dämonisch waren die Plätze durchaus.
Allerdings gestand Häfner in einem Gespräch, bei dem ich zugegen war, die Einfachheit seiner Themen und die sich wiederholenden Frauen in ihrer stets gleichgeprägten weiblichen Schönheit entsprächen einem Mangel an Phantasie und Motiven.Was meinen Vater zu der Bemerkung veranlasste, auch Tizian und Tintoretto seien, was das beträfe, nicht besonders reich an Motiven gewesen.
Bei mir hängt eine sitzende Frau mit einem Kind, die beide den typischen Audrucksmitteln seiner Vorlieben entsprechen. Besonders die kreidigen, blassen Gesichter der Kinder finden sich auch auf anderen Bildern. Auch dieses Bild ist, wie fast immer ein Ausschnitt, denn bis auf die Spanierin sind wohl die meisten seiner Gemälde Ausschnitte aus großformatigen Werken, die er, aus welchen Gründen auch immer, für unverkäuflich hielt.
Diese Kinder und Frauenköpfe entsprechen in ihrer Malweise mehr französischen Künstlern wie Gustav Courbet als deutschen Malern und daher bilden sie auch für mich bis heute ein ästhetisches Rätsel. Ein Art jener Rätsel, die in die frühe Zeit einer Jugendliebe zur Kunst gehört, die in Ungewissheit und Hoffnungen durchlebt werden muss. Bis heute ist das Rätsel seiner Malweise, die übrigens nach Aussagen meines Vater bei früheren Ausstellungen sofort das Interesse der anwesenden Künstler erweckte, auch in mir nicht erloschen.
Ausgerechnet dieser bis heute einsam gebliebene Maler bekam unter Hitler Malverbot. Seine jüdische Frau, Tochter eines Berliner Apothekers, ebenfalls Malerin vorzüglicher Aquarelle, sie hat später manchmal mit Seidenfäden in kleinen Formaten expressive Landschaften gestickt, war die Ursache dieses Malverbotes. Da mein Vater das Atelier mit ihm teilte, blieb er einigermaßen ungestört. Ein gelegentlich auftretender Prüfer stellte sich ebenfalls blind. Seinen neugeborenen Sohn Thomas übergaben die Eltern voller Angst einem nach Indien reisenden Kaufmann. Er kehrte erst nach dem Krieg nach Deutschland, nach Düsseldorf, wo die Mutter inzwischen lebte, zurück. Er ist, soweit ich es weiß, ein surrealistischer Maler geworden.
Seine Mutter, Frau Ilse Häfner-Mode, habe ich einige Male in Münster gesehen. (Wir besitzen zwei Aquarelle von ihrer Hand aus den zwanziger Jahren.)
Mein Vater war bis zu seinem Tode mit Häfner befreundet. Er nahm mich einmal, in der Hoffnung, dass ich bei ihm in ein Schülerverhältnis treten könnte, mit in das einsam gelegene Haus an einer Landstraße bei Bösingfeld. Allerdings vergebens. Der Maler verstand sich mit Recht als Einzelgänger, der sich damals um 1947 oder 48, vor der Währungsreform, mit seinem Garten und einer Ziege durchschlug. Erfolge als Maler hatte er damals, nach Ansicht meines Vaters, wohl kaum noch. Das Innere des Hauses erschien mir düster und kalt. Der Künstler trug eine Art Wollstrumpf als Mütze. Die großen Bilder hingen in spärlich eingerichteten Zimmern in schlechtem Licht. Mit Papprahmen von verschiedener Größe teilte er sie vor den Augen meines widersprechenden Vaters auf, weil er keine Hoffnung hatte, sie ganz zu verkaufen. Übrigens waren auch einzelne Zimmertüren mit weiblichen Aktfiguren bemalt.
Allerdings waren die Ausschnitte, die er wählte, bestechend genug. Ich habe später mit meinem Vater einmal über die in solchen Fällen ausgesparten Belanglosigkeiten bei großen Formaten selbst bedeutender Malern gesprochen. Es gibt eben in jedem Bild Glanzstücke, die nach seiner Meinung eine Aufteilung deswegen gestatteten, weil sie ohne den negativen Einfluss einer Gesamtabsicht, gleichsam unbekümmert, entstanden sind. Damals bat ihn mein Vater, der große Stücke auf seine enorme Gewandtheit als Zeichner hielt, mir doch einmal, mit einer Fußzehe beginnend, einen Akt zu zeichnen, was er auf dem nächstbesten Zettel mühelos fertig brachte. Der Radiergummi wurde von ihm verachtet.
Der Nachmittag verging damit, dass mein Vater ihm Bilder abkaufte. Darunter das beeindruckende Brustbild einer Frau unter einem Baum. Es mochte wohl ebenso ein Ausschnitt sein. Ich habe es später bei meinem Vater nicht wieder gesehen, auch dieses Bild ist mir unvergessen geblieben. Es erinnerte mich an Aquis submersus von Storm, der mich damals fesselte. Der Maler in dieser Novelle war ein Schüler von van der Helst, dessen Schüler ich natürlich ebenfalls gerne gewesen wäre. Bezüge zu dem Besuch bei Herbert Häfner liegen da nahe.
Er besaß ein ausgezeichnetes Sprachvermögen fast altdeutschen Stils.
Im Atelier meines Vaters in Münster erzählte er einmal die Schreckensgeschichte einer wahnsinnig werdenden Freundin, einer Lehrerin, deren zunehmende Verwirrung er anfänglich nicht durschauen konnte und deren grundlose Vieldeutigkeiten ihn sehr mitnahmen, bis er ihre Selbstmordabsicht vor einem offenen Fenster begriff. Von dieser
kolossal plastisch vorgetragenen Erzählung hatte ich Tage danach noch Angstgefühle und dunkle Stimmungen. Sein Sprachstil war fast der eines Kleist - oder, nach meinem Vater, an Goethe geschult, den Häfner verehrte.
Sein Vater war Chirurg, der ihn nicht nur zu anatomischen Studien angehalten hatte, weil er ebenfalls Arzt werden sollte, sondern auch, seltsam genug, zum Geigenspiel ermunterte. Es kann sein, dass er uns damals die Geige zeigte, oder aber ein Bild mit einer Geige. Auch zeigte er uns die Anfänge seiner Töpferarbeiten, über deren Glasuren er mit meinem Vater sprach.
Nach seiner eindrucksvollen Erzählung in Münster schrieb ich Die Zecke, so dass nicht nur der Geist Kafkas in ihr waltet, sondern auch die Erzählung Häfners.
Einige Jahre später, 1954, erfuhr mein Vater vom plötzlichen Tod seines Freundes, der, wie man wusste, inzwischen dem Alkohol ziemlich ergeben war. Es hieß, er habe in alter Kenntnis der Medizin an seiner Halsschlagader den Knoten einer, an dieser Stelle nicht mehr zu entfernenden, Thrombose entdeckt und sich in einer Nacht vollständig, bis in den Tod hinein, betrunken. Natürlich kamen mir damals Zweifel an diesem Ende, an das mein Vater jedenfalls zu glauben schien.
Ergänzend sollte ich noch von der zufällige Entdeckung einer seiner dunklen Landschaften mit fernen blassgelben Getreidehocken unter dunklem Gewitterhimmel berichten. Sie hing im hinteren Saal eines Gasthofs in Münster, der Ratsschenke am Roggenmarkt, der Pächter hieß Ossenkamp. Ich hatte bei irgend einer Geselligkeit, vielleicht in der Karnevalszeit, in diesem gewöhnlich verschlossenen Saal das auffallend ernste und Eindrucksvolle Bild mit der mir wohlbekannten Signatur entdeckt. Sie bestand wie bei allen seinen Bildern, falls es nicht Ausschnitte waren, aus drei kurzen, in geringem Abstand aufrecht gezogenen Strichen und einem horizontalen Strich durch die Mitte. Eben dem Monogramm für Herbert Häfner.
Ich war überglücklich, dieses Bild nach dem Tod des Malers entdeckt zu haben und besuchte mit meinem Malerfreund Benno Kersting, den ich mit Häfner angesteckt hatte, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit den Saal, der uns nach und nach immer widerwilliger geöffnet wurde, bis sich der übermächtige dicke Wirt jeden weiteren Besuch verbat. Zahlende Gäste waren wir jedenfalls nicht, soviel stand wohl für ihn fest. Auf unsere Fragen hatte er allerdings zugegeben, das Bild gehöre zur Ausstattung der Dortmunder Aktien Brauerei.
Telephonanrufe an die dortige Verwaltung führten zu nichts.«

Lichtel, am 22.Mai 2008
Paul Mersmann



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