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Gustav René Hocke
1908-1985
»Unter Zuständen und Bedingungen, die bis heute kaum wirklich verändert
sind, stieß ich 1957 auf Gustav René Hockes Die Welt als Labyrinth.
Das Buch begeisterte mich sofort, es warf ein magisches Licht auf die
reichen Möglichkeiten einer ausgedehnten phantastischen Kunst.
Besonders das Verfahren, Worte und Bilder miteinander zu vereinigen und
dabei von allen Meistern der Kunst inspiriert zu werden – nur die
Wissenschaft darf ja
bisher noch immer von den Alten lernen –, eröffnete mir eine neue
Zauberwelt künstlerischer Impulse. [...]
Es
gelang mir, 1960 zum zweiten Mal nach Rom zu fahren, ja gleichsam zu
flüchten. Mitten in dieser fast träumend erlebten Stadt in einem alten
Haus, dessen obere Etage vermutlich in den dreißiger Jahren ausgebaut
worden war, lag die Redaktion einer Zeitung, deren Druckmaschinen von
oben herab durch ein schmales Treppenhaus dröhnten, als druckten hier
Hausbewohner gigantische eigene Werke. Immerhin erhielt ich dort, ohne
große Umstände, die Adresse Hockes, der wohl auch für diese
Zeitung gelegentlich schrieb.
Gegenüber dem Ponte Milvio führte
unter Pinien eine Allee hinauf in ein Villenviertel. Sehr genau
erinnere ich mich der dunkelgrünen, glänzend lackierten Türe zu Hockes
Wohnung. In einer mitgebrachten Mappe trug ich voller Erwartungen eine
Anzahl der soeben in Anticoli Corrado angefertigten Lithographien und
Radierungen. Gedruckt worden waren sie an der Spanischen Treppe bei
»Torcollieri«.
Herr Hocke, eine vornehme und bewegliche Erscheinung,
empfing mich sehr freundlich, anfänglich etwas zurückhaltend, später
wohl auch amüsiert über meine künstlerischen Ideen, die ihm seltsam
genug vorkommen mochten. So korrigierte er etwa den Schriftzug auf
einer Lithographie, der ich mit einiger Begeisterung für Klänge und
Namen den schwungvollen Titel Il
Combattimento del Statione Termini beigefügt hatte,
zu ›nella‹ Statione Termini. Es ist allerdings eine meiner ältesten
Schwächen, bei fremden Sprachen nur von Klängen und Nachahmungen
auszugehen, wohl ahnend, ihrer nie nach eigenem Anspruch sicher zu
werden. Über diese Freiheit sprachen wir sogar eine ganze Weile. Er
sagte, solange ein Wohlklang die Absicht sei, sei es dem Maler erlaubt,
Bemerkungen dieser Art hinzuzufügen, statt sie aus Scheu zu
verschweigen. Man müsse auch an eine künftige Gelehrtenwelt denken, die
für jede Bemerkung dankbar sei. Ich fand, dies sei keineswegs ironisch,
sondern eher liebenswürdig gemeint.
Eine junge Bedienerin mit
zierlicher weißer Schürze brachte Tee und Gebäck. Es schien ihm
wichtig, über die Zustände jüngerer Künstler in Deutschland mit mir zu
sprechen. Hier wusste ich wenig Gutes zu melden. Ich sprach von einem
Wall aus neuen Vorurteilen, der die Kunst aus historischen Gründen
bedrücke, als sei sie weniger der Zukunft als der Vergangenheit
verpflichtet. Man dulde keine Zukunft im Sinne der einst so weit
vorausschauenden Kunst, es sei denn innerhalb einer imaginären
Vergangenheit, gleichsam wie aus einem Gefängnis heraus in den
Hinterhof.
Er schien mir aus bedrückenden eigenen Erfahrungen nicht
recht zustimmen zu können. Ich war dergleichen gewöhnt und fand auch
später in seinem Buch Im
Schatten des Leviathan von dieser zeitgenössischen
Stimmung einiges wieder.
Tief
beeindruckt aber war ich von einem großen Gemälde über dem Kamin. Ich
hielt meine Begeisterung darüber auch nicht zurück. Über flachen Hügeln
und grünem Rasen, unterbrochen vom braunen Rot der italienischen Erde,
wie man sie auch bei Rom so häufig zu sehen bekommt, sie macht das Gras
und die Reben fast doppelt grün, stürzt vom blauen Himmel herab ein
Pegasus, der bereits seine Federn verliert. Im Vordergrund erwartet ihn
eine Anzahl soeben eingetroffener Photographen. Sie haben ihre
Fahrräder hastig beiseite geworfen und ihre Köpfe bereits mit den
schwarzen Tüchern bedeckt. Auf den Gestellen sind die Kästen zum Himmel
gerichtet und die Photographen dahinter tief gebückt wie Mönche in
Adoration. Was für ein Bild!
Hocke klärte mich auf. Er hatte es im
Atelier des Malers Gianfilippo Usellini in Mailand 1941 gesehen und
gleich gekauft. Er schätzte es sehr und freute sich, nun auch mich in
heller Begeisterung zu finden.
Im Laufe des Gesprächs besaß er die
Großzügigkeit der älteren Generation, einem offensichtlich armen
Künstler und begeisterten Romfahrer von den vorgelegten Arbeiten etwas
abzukaufen. Er wählte die Kaltnadelradierung Brutus und Calpurnia
und das besagte Combattimento,
eine Lithographie. Er sprach dann noch von der Absicht, mich mit dem
Surrealisten Fabricio Clerici bekannt zu machen. Einem Künstler, den
ich ja bereits durch Hockes Buch kennengelernt hatte. Daraus wurde
nichts, weil Hocke, den ich noch zwei oder dreimal besuchte, um den
Pegasus sehen zu dürfen, kurze Zeit später an einer Lungenentzündung
erkrankte. Ich konnte mich damals in Rom nicht länger halten, meine
bescheidenen Mittel gingen zu Ende und ich kehrte mit einigen
Radierungen, Lithographien und Bildern nach Deutschland zurück.«
Paul Mersmann
Gianfilippo Usellini (1903-1971): I fotografi.
La cattura di Pegaso (1940)
Fabricio Clerici (1913-1993) |