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Herbert Häfner
1904-1954
»Durch meinen Vater, der ein enger Freund dieses bemerkenswerten Malers
gewesen ist, sie besaßen ein gemeinsames Atelier in Berlin, habe ich
Häfner und seine Bilder um 1947 kennen gelernt.
Meine Begegnung mit ihm und seinem Werk gehört bis heute zu den
unbeendeten, ja unbeendbaren Jugenderlebnissen meiner künstlerischen
Entwicklung, denn er war und ist mir, ich muss es
gestehen, als Maler wegen meiner frühen vergeblichen Versuche,
der rätselhaften Welt seiner malerischen Technik nachzueifern, ein
unerreichbarer Traum geblieben. Seine Bilder, von denen sich einige
wenige in unserem Familienbesitz erhalten haben, sein Werk ist heute
unauffindbar verstreut, weisen auf ein unerfüllbares Jenseits meiner
frühesten künstlerischen Neigungen hin, weil sie über die alten Meister
hinaus das erste Mal einem lebenden Künstler galten, den ich bewundern
konnte. Ein größeres Bild bei mir, wenn ich täglich einen Blick auf den
Kopf des Kindes oder die Züge der Mutter werfe, besitzt noch immer jene
traurige Kraft von einst, die mir unerreichbar geblieben ist. Es
scheint, als habe die blinde Zeit des real existierenden Fetischismus
die wahre Kunstarbeit, die Alchimie auf der Leinwand, erfolgreich
verdrängt. Der Sieg des handgreiflichen Dilettantismus einer Unzucht am
Gegenstand, die gehirnbezogene Vorhölle der Barbarei, hält heute ganze
Museen besetzt. Jede Zeit kennt irgend einen öffentlichen, dabei ganz
unfasslichen Massenwahn, einen Thanatoskomplex der Kultur.
Noch im Wandbild der Villa Glücklich, Sebastian unter den Frauen,
habe ich versucht, den weiblichen Kopf mit der Perlenkette in seinem
Geiste zu malen, vergebens. Es gelang mir nicht, seine schlichte
schmelzende Kraft auf der Leinwand auch nur annähernd zu treffen. Sein
Werk bestand zumeist aus Familienbildern, Frauen und Kinder an Tischen
mit Stilleben, die sich mühelos mit den großen Franzosen vergleichen
lassen, indessen die Landschaften, ernst und ins Bläuliche spielend,
das Regendunkel seiner lippischen Heimat widerspiegeln. Meine Schwester
besitzt das fast lebensgroße Bildnis einer Dame in spanischem Kostüm,
nach Erinnerungen meines Vaters die Tochter Pechsteins auf einem
Maskenball der dreißiger Jahre in Berlin. Die Hand mit dem Fächer hat
mich stets an die flüchtig hingewischten Hände eines Velasquez in Wien
erinnert, die Stellung der Füße an Goya.
Übrigens sagte mein Vater, Häfner habe gelegentlich auf Bildern älterer
Kirmesbuden manche der rasch aus dem Handgelenk auf die Leinwand
geworfenen Ornamente und kühn gezogenen Linien sehr bewundert, denn ehe
die grelle Elektrizität samt der futuristischen Technik über diese
Plätze gekommen ist, war in der barocken Architektur der Karussells,
ihren automatisch klappernden Musikanten, den hölzernen Rössern aus
Orleans, sie wurden dort einst geschnitzt, in all den Spiegeln und dem
schmetternden Ächzen der Orgeln das ganze Wesen einer Art
Gegenaufklärung weiß und vergoldet erhalten geblieben. Gleichsam aus
den Händen katholisch gebliebner Teufel, denn dämonisch waren die
Plätze durchaus.
Allerdings gestand Häfner in einem Gespräch, bei dem ich zugegen war,
die Einfachheit seiner Themen und die sich wiederholenden Frauen in
ihrer stets gleichgeprägten weiblichen Schönheit entsprächen einem
Mangel an Phantasie und Motiven.Was meinen Vater zu der Bemerkung
veranlasste, auch Tizian und Tintoretto seien, was das beträfe, nicht
besonders reich an Motiven gewesen.
Bei mir hängt eine sitzende Frau mit einem Kind, die beide den
typischen Audrucksmitteln seiner Vorlieben entsprechen. Besonders die
kreidigen, blassen Gesichter der Kinder finden sich auch auf anderen
Bildern. Auch dieses Bild ist, wie fast immer ein Ausschnitt, denn bis
auf die Spanierin
sind wohl die meisten seiner Gemälde Ausschnitte aus großformatigen
Werken, die er, aus welchen Gründen auch immer, für unverkäuflich hielt.
Diese Kinder und Frauenköpfe entsprechen in ihrer Malweise mehr
französischen Künstlern wie Gustav Courbet als deutschen Malern und
daher bilden sie auch für mich bis heute ein ästhetisches Rätsel. Ein
Art jener Rätsel, die in die frühe Zeit einer Jugendliebe zur Kunst
gehört, die in Ungewissheit und Hoffnungen durchlebt werden muss. Bis
heute ist das Rätsel seiner Malweise, die übrigens nach Aussagen meines
Vater bei früheren Ausstellungen sofort das Interesse der anwesenden
Künstler erweckte, auch in mir nicht erloschen.
Ausgerechnet dieser bis heute einsam gebliebene Maler bekam unter
Hitler Malverbot. Seine jüdische Frau, Tochter eines Berliner
Apothekers, ebenfalls Malerin vorzüglicher Aquarelle, sie hat später
manchmal mit Seidenfäden in kleinen Formaten expressive Landschaften
gestickt, war die Ursache dieses Malverbotes. Da mein Vater das Atelier
mit ihm teilte, blieb er einigermaßen ungestört. Ein gelegentlich
auftretender Prüfer stellte sich ebenfalls blind. Seinen neugeborenen
Sohn Thomas übergaben die Eltern voller Angst einem nach Indien
reisenden Kaufmann. Er kehrte erst nach dem Krieg nach Deutschland,
nach Düsseldorf, wo die Mutter inzwischen lebte, zurück. Er ist, soweit
ich es weiß, ein surrealistischer Maler geworden.
Seine Mutter, Frau Ilse Häfner-Mode, habe ich einige Male in Münster
gesehen. (Wir besitzen zwei Aquarelle von ihrer Hand aus den zwanziger
Jahren.)
Mein Vater war bis zu seinem Tode mit Häfner befreundet. Er nahm mich
einmal, in der Hoffnung, dass ich bei ihm in ein Schülerverhältnis
treten könnte, mit in das einsam gelegene Haus an einer Landstraße bei
Bösingfeld. Allerdings vergebens. Der Maler verstand sich mit Recht als
Einzelgänger, der sich damals um 1947 oder 48, vor der Währungsreform,
mit seinem Garten und einer Ziege durchschlug. Erfolge als Maler hatte
er damals, nach Ansicht meines Vaters, wohl kaum noch. Das Innere des
Hauses erschien mir düster und kalt. Der Künstler trug eine Art
Wollstrumpf als Mütze. Die großen Bilder hingen in spärlich
eingerichteten Zimmern in schlechtem Licht. Mit Papprahmen von
verschiedener Größe teilte er sie vor den Augen meines widersprechenden
Vaters auf, weil er keine Hoffnung hatte, sie ganz zu verkaufen.
Übrigens waren auch einzelne Zimmertüren mit weiblichen Aktfiguren
bemalt.
Allerdings waren die Ausschnitte, die er wählte, bestechend genug. Ich
habe später mit meinem Vater einmal über die in solchen Fällen
ausgesparten Belanglosigkeiten bei großen Formaten selbst bedeutender
Malern gesprochen. Es gibt eben in jedem Bild Glanzstücke, die nach
seiner Meinung eine Aufteilung deswegen gestatteten, weil sie ohne den
negativen Einfluss einer Gesamtabsicht, gleichsam unbekümmert,
entstanden sind. Damals bat ihn mein Vater, der große Stücke auf seine
enorme Gewandtheit als Zeichner hielt, mir doch einmal, mit einer
Fußzehe beginnend, einen Akt zu zeichnen, was er auf dem nächstbesten
Zettel mühelos fertig brachte. Der Radiergummi wurde von ihm verachtet.
Der Nachmittag verging damit, dass mein Vater ihm Bilder abkaufte.
Darunter das beeindruckende Brustbild einer Frau unter einem Baum. Es
mochte wohl ebenso ein Ausschnitt sein. Ich habe es später bei meinem
Vater nicht wieder gesehen, auch dieses Bild ist mir unvergessen
geblieben. Es erinnerte mich an Aquis
submersus von Storm, der mich damals fesselte. Der Maler
in dieser Novelle war ein Schüler von van der Helst, dessen Schüler ich
natürlich ebenfalls gerne gewesen wäre. Bezüge zu dem Besuch bei
Herbert Häfner liegen da nahe.
Er besaß ein ausgezeichnetes Sprachvermögen fast altdeutschen Stils.
Im Atelier meines Vaters in Münster erzählte er einmal die
Schreckensgeschichte einer wahnsinnig werdenden Freundin, einer
Lehrerin, deren zunehmende Verwirrung er anfänglich nicht durschauen
konnte und deren grundlose Vieldeutigkeiten ihn sehr mitnahmen, bis er
ihre Selbstmordabsicht vor einem offenen Fenster begriff. Von dieser
kolossal plastisch vorgetragenen Erzählung hatte ich Tage danach noch
Angstgefühle und dunkle Stimmungen. Sein Sprachstil war fast der eines
Kleist - oder, nach meinem Vater, an Goethe geschult, den Häfner
verehrte.
Sein Vater war Chirurg, der ihn nicht nur zu anatomischen Studien
angehalten hatte, weil er ebenfalls Arzt werden sollte, sondern auch,
seltsam genug, zum Geigenspiel ermunterte. Es kann sein, dass er uns
damals die Geige zeigte, oder aber ein Bild mit einer Geige. Auch
zeigte er uns die Anfänge seiner Töpferarbeiten, über deren Glasuren er
mit meinem Vater sprach.
Nach seiner eindrucksvollen Erzählung in Münster schrieb ich Die Zecke, so
dass nicht nur der Geist Kafkas in ihr waltet, sondern auch die
Erzählung Häfners.
Einige Jahre später, 1954, erfuhr mein Vater vom plötzlichen Tod seines
Freundes, der, wie man wusste, inzwischen dem Alkohol ziemlich ergeben
war. Es hieß, er habe in alter Kenntnis der Medizin an seiner
Halsschlagader den Knoten einer, an dieser Stelle nicht mehr zu
entfernenden, Thrombose entdeckt und sich in einer Nacht vollständig,
bis in den Tod hinein, betrunken. Natürlich kamen mir damals Zweifel an
diesem Ende, an das mein Vater jedenfalls zu glauben schien.
Ergänzend sollte ich noch von der zufällige Entdeckung einer seiner
dunklen Landschaften mit fernen blassgelben Getreidehocken unter
dunklem Gewitterhimmel berichten. Sie hing im hinteren Saal eines
Gasthofs in Münster, der Ratsschenke am Roggenmarkt, der Pächter hieß
Ossenkamp. Ich hatte bei irgend einer Geselligkeit, vielleicht in der
Karnevalszeit, in diesem gewöhnlich verschlossenen Saal das auffallend
ernste und Eindrucksvolle Bild mit der mir wohlbekannten Signatur
entdeckt. Sie bestand wie bei allen seinen Bildern, falls es nicht
Ausschnitte waren, aus drei kurzen, in geringem Abstand aufrecht
gezogenen Strichen und einem horizontalen Strich durch die Mitte. Eben
dem Monogramm für Herbert Häfner.
Ich war überglücklich, dieses Bild nach dem Tod des Malers entdeckt zu
haben und besuchte mit meinem Malerfreund Benno Kersting, den ich mit
Häfner angesteckt hatte, bei jeder passenden und unpassenden
Gelegenheit den Saal, der uns nach und nach immer widerwilliger
geöffnet wurde, bis sich der übermächtige dicke Wirt jeden weiteren
Besuch verbat. Zahlende Gäste waren wir jedenfalls nicht, soviel stand
wohl für ihn fest. Auf unsere Fragen hatte er allerdings zugegeben, das
Bild gehöre zur Ausstattung der Dortmunder Aktien Brauerei.
Telephonanrufe an die dortige Verwaltung führten zu nichts.«
Lichtel,
am 22.Mai 2008
Paul Mersmann |