Paul Mersmann [*1929]
Paul Mersmann: Werkverzeichnis
P.M.
Personen

Giorgio de Chirico
Herbert Häfner
Gustav René Hocke
Karl Hofer
Peter Schermuly

Karl Hofer
1878-1955


»Wer das Werk Karl Hofers auf der Leinwand und nicht irgendwo daneben oder dahinter zu entschlüsseln sucht, wer so geradeaus wie möglich auf die Leinwände blickt, dem kann die Mondförmigkeit der Gestalten, der Gesichter und selbst der Gegenstände nicht lange verborgen bleiben. Die Brüche der Falten, die Schwünge der Arme, die ›ägyptischen‹ Profile der Gesichter schweben ausbalanciert, kaltfarbig und leuchtend auf dunklen Gründen. Mondlicht und Nächtlichkeit, auch die Dämmerung der inneren Bühne, spenden erfundenes Licht, nicht das des Tages. Hofer hat derlei nicht verborgen. Es gibt in seinem Werk eine aus zwei Halbmonden zusammengesetzte und ausbalancierte Figur, es gibt ein Bild mit dem Titel Schwarzmond, und oft steht weniger auffallend auch in anderen Bildern der Mond am Himmel.
Der neu erwachte Feminismus, die spekulative Erforschung der alten Matriarchate machen uns hellhörig für solche Dinge. Obwohl nicht ohne Vergleichbarkeit mit Beckmann, der ebenso wie Hofer seine Gestalten in einer schon als gotisch bezeichneten Tradition in den Bildraum bannt, bleibt Beckmanns malerische Energie doch viel gegenwärtiger. Es fehlt ihr der Schleier des Traums und der Entrückung, der in Hofers Bildern auch als Schrecken und Erstarrung zu empfinden ist. Die Energien des Mondes und die hintergründigen Reize des Hoferschen Manierismus verschließen sich einer spezifisch männlichen Power-Welt, deren Avantgardismus sich nachgerade in den Vorfeldern ritueller Gewalt bewegt.
Der außerordentlich originale Zustand der Bilder ist auffällig. Sie wirken ohne die Politur eines öffentlichen Schicksals merkwürdig unmittelbar, gleichsam wie unentdeckt. Vielleicht ist gerade diese geheimnisvolle Aura des Originären der Hinweis auf die fortbestehende Einsamkeit des Malers. Ohnehin ergeben sich nur wenige Berührungspunkte zu Zeitgenossen und späteren Malern. Die Zeit der Dämonen ist ihm wie Dostojewski zum Schicksal seines Werkes geworden. Kein Weg führte Hofer ins Bauhaus und damit zu einer international verständlichen Formelhaftigkeit, die auf den düsteren Klang der Epoche keine unmittelbare Antwort zu geben brauchte. Gerade die eindeutige Rehabilitierung des Bauhauses nach dem Krieg entsteht eben nicht als Wiedergutmachung, sondern als unterschwellige Fortexistenz eines theoretisch-maskulinen Bedürfnisses nach lichtberauschtem Konstruktivismus. Ihre Unduldsamkeit spricht Bände.
Hofers Welt ist introvertierter. Das Bild mit dem Titel Fahnentragende Jünglinge wirkt wie die verhaltene Demonstration von Einzelgängern im Niemandsland. Es ist ein sakrales Bild ohne Prätention, weil sich die Scene wie eine Erscheinung an der Grenze des Entschwindens dem Betrachter zeigt.
[...]
Es kann einem der Gedanke kommen, die melancholische Energie dieser Bilder habe ihren Sinn noch gar nicht erfüllt; ihr Widerspruch zum Avantgardismus (Will Grohmann) bedürfe wie ein verkanntes Orakel noch einer uns selber betreffenden Auflösung. Es bleibt sogar eine Frage, wie man diese Bilder auch weiterhin den Wänden der neuen egozentrisch gestylten Museen beifügen will, ohne solche Mauern als hysterische Albinos, die jederzeit auch auf Bilder verzichten könnten – sie hängen ja ohnehin nur im letzten Drittel des Neubaus - in Verlegenheit zu bringen. Bisher jedenfalls schweben die explosiven und federleichten Bilder der Avantgarde, die alles Prophetentum der Kunst durch ihre Supergegenwärtigkeit verfluchen, gerade hier am besten. Es kann uns im Gegensatz zu ihnen vor der Realpräsenz einer verharrenden Malerei im Sinne Hofers kein Geheimnis bleiben, dass ihre gebannte Macht als fortwährend pochender Kern vielleicht noch auf etwas zielt, das im Kommen begriffen ist und zwar über den Weg der Irritation des kollektiven Gegenwärtigkeitsrausches.
Hofers Bilder wirken in der strengen Ausgeschnittenheit der Formen wie bewegliche Teile, die aus dem Hintergrund verändert werden könnten. Auch dies gibt ihnen den Charakter von Masken, deren Bewegungsauftrag aufs neue belebt werden könnte, weil sie alles andere als erloschene Lebenskopien sind. Die Räume, in denen sie stehen, erzeugen eine archäologische Neugierde, die sich auf Staub gefaßt macht, aber auch auf Entdeckungen, die sich als neueste Nachrichten erweisen könnten. Der kriechende Mann vor der Landschaft ist zweifellos nicht auf seine expressiven Energien zu testen, sondern er ist Teil der Ankündigung einer Tragödie, die noch nicht geschrieben wurde.
Die verborgene Zeugenschaft des Unheils stößt in ihrer einsamen Individualität, darin Kafka ähnlich, weit über die einstigen Ursachen ihres Antriebs hinaus. Es ist möglich, dass dieser verborgene Ausdruck auch der visionäre Unterton eines Schreckens ist, der seit einem halben Jahrhundert jeden Künstler erfassen muss, der es wagt, seine Intentionen in vergleichbarer Nähe zu Dingen und Menschen stationär zu bannen. Er fühlt, was es in letzter Konsequenz bedeutet, wenn die neben ihm produzierte Bilderwelt als fliehende und explodierende Energie und schon im ersten Augenblick der Entstehung als reproduzierte Formel dem Stoffwechsel der Kulturszene eingeflößt werden soll. Zu widersprechen bedeutet, sich einer neu- und antikünstlerisch ritualisierten Wissenschaftlichkeit zu verweigern, die untergründig auf Wirklichkeitsrausch als Macht versessen ist. [...]
Einen Anschauungsanspruch als Gegensatz zur theoretischen Herausforderung durchzusetzen, den Betrachter zu einem echten Stehenbleiben zu überreden, ist ohne den Aufwand der ›Malerei‹ nicht möglich. Das wahre Bild wird gebacken und nicht geschrieben. Die Arbeit des Pinsels ist nicht die der Feder, es geht nicht um Briefe, sondern um eine Magie des Voluminösen. Wenn es wahr ist, daß alle Wirklichkeit von der gewaltig auseinanderstrebenden Kraft des Weltalls abhängt, so bietet die verharrende oder bannende Malerei eine möglicherweise erbärmliche, aber doch auch menschliche imitatio dei als gemalte Höhle, als Schlupfwinkel an. Phantasie, die bekanntlich dem Mond untersteht, ist die einzige Fähigkeit, die der Formel als dem unabbildbaren Detail des Allbeweglichen nichts verdankt. [...]«
Paul Mersmann, in: Menschen im Zeichen des Mondes und der Balance (1987)



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