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Karl Hofer
1878-1955
»Wer das Werk Karl Hofers auf der Leinwand und nicht irgendwo daneben
oder dahinter zu entschlüsseln sucht, wer so geradeaus wie möglich auf
die Leinwände blickt, dem kann die Mondförmigkeit der Gestalten, der
Gesichter und selbst der Gegenstände nicht lange verborgen bleiben. Die
Brüche der Falten, die Schwünge der Arme, die ›ägyptischen‹ Profile der
Gesichter schweben ausbalanciert, kaltfarbig und leuchtend auf dunklen
Gründen. Mondlicht und Nächtlichkeit, auch die Dämmerung der inneren
Bühne, spenden erfundenes Licht, nicht das des Tages. Hofer hat derlei
nicht verborgen. Es gibt in seinem Werk eine aus zwei Halbmonden
zusammengesetzte und ausbalancierte Figur, es gibt ein Bild mit dem
Titel Schwarzmond, und oft steht weniger auffallend auch in anderen
Bildern der Mond am Himmel.
Der neu erwachte Feminismus, die spekulative Erforschung der alten
Matriarchate machen uns hellhörig für solche Dinge. Obwohl nicht ohne
Vergleichbarkeit mit Beckmann, der ebenso wie Hofer seine Gestalten in
einer schon als gotisch bezeichneten Tradition in den Bildraum bannt,
bleibt Beckmanns malerische Energie doch viel gegenwärtiger. Es fehlt
ihr der Schleier des Traums und der Entrückung, der in Hofers Bildern
auch als Schrecken und Erstarrung zu empfinden ist. Die Energien des
Mondes und die hintergründigen Reize des Hoferschen Manierismus
verschließen sich einer spezifisch männlichen Power-Welt, deren
Avantgardismus sich nachgerade in den Vorfeldern ritueller Gewalt
bewegt.
Der außerordentlich originale Zustand der Bilder ist auffällig. Sie
wirken ohne die Politur eines öffentlichen Schicksals merkwürdig
unmittelbar, gleichsam wie unentdeckt. Vielleicht ist gerade diese
geheimnisvolle Aura des Originären der Hinweis auf die fortbestehende
Einsamkeit des Malers. Ohnehin ergeben sich nur wenige Berührungspunkte
zu Zeitgenossen und späteren Malern. Die Zeit der Dämonen ist ihm wie
Dostojewski zum Schicksal seines Werkes geworden. Kein Weg führte Hofer
ins Bauhaus und damit zu einer international verständlichen
Formelhaftigkeit, die auf den düsteren Klang der Epoche keine
unmittelbare Antwort zu geben brauchte. Gerade die eindeutige
Rehabilitierung des Bauhauses nach dem Krieg entsteht eben nicht als
Wiedergutmachung, sondern als unterschwellige Fortexistenz eines
theoretisch-maskulinen Bedürfnisses nach lichtberauschtem
Konstruktivismus. Ihre Unduldsamkeit spricht Bände.
Hofers Welt ist introvertierter. Das Bild mit dem Titel Fahnentragende
Jünglinge wirkt wie die verhaltene Demonstration von
Einzelgängern im
Niemandsland. Es ist ein sakrales Bild ohne Prätention, weil sich die
Scene wie eine Erscheinung an der Grenze des Entschwindens dem
Betrachter zeigt.
[...]
Es kann einem der Gedanke kommen, die melancholische Energie dieser
Bilder habe ihren Sinn noch gar nicht erfüllt; ihr Widerspruch zum
Avantgardismus (Will Grohmann) bedürfe wie ein verkanntes Orakel noch
einer uns selber betreffenden Auflösung. Es bleibt sogar eine Frage,
wie man diese Bilder auch weiterhin den Wänden der neuen egozentrisch
gestylten Museen beifügen will, ohne solche Mauern als hysterische
Albinos, die jederzeit auch auf Bilder verzichten könnten – sie hängen
ja ohnehin nur im letzten Drittel des Neubaus - in Verlegenheit zu
bringen. Bisher jedenfalls schweben die explosiven und federleichten
Bilder der Avantgarde, die alles Prophetentum der Kunst durch ihre
Supergegenwärtigkeit verfluchen, gerade hier am besten. Es kann uns im
Gegensatz zu ihnen vor der Realpräsenz einer verharrenden Malerei im
Sinne Hofers kein Geheimnis bleiben, dass ihre gebannte Macht als
fortwährend pochender Kern vielleicht noch auf etwas zielt, das im
Kommen begriffen ist und zwar über den Weg der Irritation des
kollektiven Gegenwärtigkeitsrausches.
Hofers Bilder wirken in der strengen Ausgeschnittenheit der Formen wie
bewegliche Teile, die aus dem Hintergrund verändert werden könnten.
Auch dies gibt ihnen den Charakter von Masken, deren Bewegungsauftrag
aufs neue belebt werden könnte, weil sie alles andere als erloschene
Lebenskopien sind. Die Räume, in denen sie stehen, erzeugen eine
archäologische Neugierde, die sich auf Staub gefaßt macht, aber auch
auf Entdeckungen, die sich als neueste Nachrichten erweisen könnten.
Der kriechende Mann vor der Landschaft ist zweifellos nicht auf seine
expressiven Energien zu testen, sondern er ist Teil der Ankündigung
einer Tragödie, die noch nicht geschrieben wurde.
Die verborgene Zeugenschaft des Unheils stößt in ihrer einsamen
Individualität, darin Kafka ähnlich, weit über die einstigen Ursachen
ihres Antriebs hinaus. Es ist möglich, dass dieser verborgene Ausdruck
auch der visionäre Unterton eines Schreckens ist, der seit einem halben
Jahrhundert jeden Künstler erfassen muss, der es wagt, seine
Intentionen in vergleichbarer Nähe zu Dingen und Menschen stationär zu
bannen. Er fühlt, was es in letzter Konsequenz bedeutet, wenn die neben
ihm produzierte Bilderwelt als fliehende und explodierende Energie und
schon im ersten Augenblick der Entstehung als reproduzierte Formel dem
Stoffwechsel der Kulturszene eingeflößt werden soll. Zu widersprechen
bedeutet, sich einer neu- und antikünstlerisch ritualisierten
Wissenschaftlichkeit zu verweigern, die untergründig auf
Wirklichkeitsrausch als Macht versessen ist. [...]
Einen Anschauungsanspruch als Gegensatz zur theoretischen
Herausforderung durchzusetzen, den Betrachter zu einem echten
Stehenbleiben zu überreden, ist ohne den Aufwand der ›Malerei‹ nicht
möglich. Das wahre Bild wird gebacken und nicht geschrieben. Die Arbeit
des Pinsels ist nicht die der Feder, es geht nicht um Briefe, sondern
um eine Magie des Voluminösen. Wenn es wahr ist, daß alle Wirklichkeit
von der gewaltig auseinanderstrebenden Kraft des Weltalls abhängt, so
bietet die verharrende oder bannende Malerei eine möglicherweise
erbärmliche, aber doch auch menschliche imitatio dei als gemalte Höhle,
als Schlupfwinkel an. Phantasie, die bekanntlich dem Mond untersteht,
ist die einzige Fähigkeit, die der Formel als dem unabbildbaren Detail
des Allbeweglichen nichts verdankt. [...]«
Paul
Mersmann, in: Menschen im Zeichen des Mondes und der Balance (1987) |